Gewaltprävention an Arbeitsplätzen mit Kundenverkehr

Reduzierung von Bedrohungen und Übergriffen an Arbeitsplätzen mit Publikumsverkehr – 10 Jahre Aachener Modell

Übergriffe auf Behördenmitarbeiter nehmen stetig zu

Auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik zum Berichtsjahr 2020 ist – wie schon in den Vorjahren – ein bedauerlicher Trend dokumentiert: Vertreter des Staates sind vermehrt Ziel von gewaltsamen Übergriffen.

In der Öffentlichkeit wird bereits wahrgenommen, dass dies vor allem Polizeivollzugsbeamte, Ordnungsamtsmitarbeiter, Gerichtsvollzieher und kommunale Mandatsträger betrifft – und vermehrt auch Beschäftigte im Gesundheitswesen, bei der Agentur für Arbeit und insbesondere in den Jobcentern, bei Feuerwehr und Rettungsdiensten.

Doch das Phänomen der gewaltsamen Übergriffe ist leider noch weiter verbreitet und kann letztlich jeden Behördenvertreter mit Publikumsverkehr betreffen, d.h. alle Beschäftigten, die in Rathäusern, Landratsämtern, Wohlfahrtseinrichtungen und (höheren) Kommunalbehörden ihren Dienst verrichten – und ebenso diejenigen, die Außendienstaufgaben wahrnehmen.

Seit April 2016 läuft die dbb-Kampagne „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ in deren Rahmen eine nahezu tagesaktuelle Zeitleiste gepflegt wird. Hier sind bekanntgewordene Übergriffe gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst dokumentiert: https://www.angegriffen.info/zeitleiste-uebersicht.

Das Aachener Modell – was ist das?

Das „Aachener Modell zur Reduzierung von Bedrohungen und Übergriffen am Arbeitsplatz“ entstand vor rund 10 Jahren im Rahmen der erfolgreichen Kooperation zwischen der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen und dem Polizeipräsidium Aachen.

Es strukturiert die komplexe Thematik von Übergriffen und Gewalterfahrungen an Arbeitsplätzen mit Kundenverkehr und empfiehlt Eckpunkte für die Gewaltprävention und die Gestaltung eines für die Beschäftigten sicheren Arbeitsumfeldes.

Das Aachener Modell strebt eine ganzheitliche Betrachtung von Risikofaktoren und Schutzmaßnahmen an und beschreibt die folgenden Kategorien:

  • Baulich-technische Ursachen
  • Organisationsbedingte Ursachen
  • Ursachen in der Person des Opfers
  • Ursachen in der Person des Täters

Im Hinblick auf die erlebbaren Formen der Gewalt unterscheidet das Aachener Modell folgende vier Gefährdungslagen bzw. Gefährdungsstufen:

Gefährdungslagen bzw. Gefährdungsstufen gemäß Aachener ModellHierbei gibt es die verschiedensten Tatverläufe: Manchmal kommen die Täter bereits mit einer gewissen „Vorspannung“ ins Büro eines Beschäftigten, manchmal eskaliert ein „normales“ Kundengespräch und entwickelt sich von „Gefährdungsstufe 0“ in Richtung „Gefährdungsstufe 3“.

Beim Schutz der Beschäftigten vor Übergriffen im Kundenverkehr sollten die vorhandenen Erkenntnisse z.B. über Risikofaktoren, Gefährdungsstufen, Tatverläufe und Sicherheitsmaßnahmen idealerweise berücksichtigt werden. Dementsprechend braucht es hier keine aufwändige „Goldrandlösung“, sondern die Umsetzung eines bewährten Basiskonzepts zur Gewaltprävention, das in den letzten Jahren wissenschaftlich begleitet und beforscht wurde.

Besondere Herausforderungen bei der Umsetzung in die Praxis

Wenn eine vorausschauende Sicherheits- und Notfallorganisation aufgebaut werden soll, dann kann das Aachener Modell eine wertvolle Orientierung geben. Bei der Entwicklung eines schlüssigen Gesamtkonzepts zur Gewaltprävention für eine konkrete Behörde und deren Liegenschaften sind in der Praxis dann oftmals verschiedene Herausforderungen zu meistern. Drei davon sind nachfolgend beispielhaft dargestellt:

  • Begrenzte Veränderbarkeit von Bestandsgebäuden

Bauliche und technische Maßnahmen z.B. bei der Gestaltung von Büros, Wartezonen und Verkehrswegen können sehr gut bei Neubauten oder im Rahmen von ohnehin anstehenden Renovierungsarbeiten umgesetzt werden. Ansonsten sind sie in Bestandsgebäuden oder gar in Mietobjekten nur in eingeschränktem Umfang realisierbar. Hier geht es darum, mit Blick auf das, was technisch und sicherheitsorganisatorisch möglich ist, kreative Lösungen zu finden.

  • Unterschiedliche Wirksamkeit einzelner Maßnahmen

In vielen Behörden und ihren Dienstgebäuden wurde in den vergangen 10 Jahren zum Thema Gewaltprävention schon „etwas gemacht“. Allerdings entfalten die Handlungsempfehlungen aus dem Aachener Modell nur dann ihre volle Wirksamkeit, wenn sie so umgesetzt werden, wie sie erarbeitet wurden: nämlich sich wechselseitig ergänzend und ganzheitlich. Und es ist offensichtlich, dass einige Maßnahmen auch für sich genommen wirksamer sind, als andere.

Um dies plakativ zu veranschaulichen: Ein mehrsprachiges Personenleitsystem im Gebäude ersetzt keine durchdachte, moderne Zutrittssteuerung – und ein im Wartebereich aufgestellter Fernseher ersetzt keine mehrstufige Alarmierung!

Hier sollte ein Bündel von (willkürlich ausgewählten) Maßnahmen, die vielleicht kurzfristig und mit wenig Aufwand realisiert werden konnten, keine falsche Sicherheit vermitteln.

  • Außendienst ist nicht gleich Außendienst

Nicht jeder Beschäftigte mit Außendienstaufgaben ist im Vollzugs- oder Ordnungsdienst tätig. Es gibt verschiedenste Berufsbilder die es erfordern, dass man sein Büro verlässt und sich mit dem Kunden an einem neutralen Ort oder gar in dessen Wohnung trifft.

Die Fallmanager beispielsweise, die sich im Rahmen einer Kundenbetreuung in Sozialrechtsangelegenheiten z.T. in Situationen physischer und psychischer Gefährdung begeben, würde man nicht mit Stichschutzwesten und Multifunktionsstöcken ausrüsten. Hier lassen sich andere, angemessenere Lösungen finden.

Verantwortung und Rolle der Führungskräfte

Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht, die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht, und auch die besondere Verpflichtung des Arbeitgebers in Bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten während der Arbeit erfordern angemessene Maßnahmen zur Gewaltprävention.

So ist beispielsweise im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) u.a. festgeschrieben, dass physische und psychische Gefährdungen möglichst zu vermeiden und auf die geringstmögliche Ausprägung zu minimieren sind. Ferner, dass beim Schutz der Beschäftigten ein ursachenorientierter, präventiver Ansatz zu wählen ist und die ergriffenen Maßnahmen in der jeweiligen Kategorie den „State-of-the-Art“ repräsentieren müssen (§4 ArbSchG).

Reaktive, symptomorientierte Behelfsmaßnahmen, die vielleicht den arbeitswissenschaftlichen oder sicherheitstechnischen Erkenntnisstand der 70er Jahre adressieren, würden also den Anforderungen des ArbSchG nicht genügen.

Bisherige Untersuchung zeigen hier z.T. recht unterschiedliche Sichten auf die erlebte Wirklichkeit:

Viele Führungskräfte – meist ohne direkten Kundenkontakt – folgen gerne ihrem „Bauchgefühl“ und kommen zu der Einschätzung, dass man bezüglich der Gewaltprävention eigentlich keine Probleme habe. Ihre Mitarbeiter – meist mit direktem Kundenkontakt – kommen hingegen oftmals zu einer ganz anderen Bewertung. Sie wünschen sich mehr Prävention und vor allem auch mehr Unterstützung, wenn dann doch einmal etwas passiert ist.

Hier scheint es in der Praxis noch einigen hierarchieübergreifenden Klärungs-, Abstimmungs- und Handlungsbedarf zu geben.

Wer sich nicht auf „Bauchgefühl“ und Einzelmeinungen verlassen, sondern sich bei Entscheidungen auch auf konkrete Daten stützen möchte, dem sei die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung zur Ermittlung physischer und psychischer Gefahren am Arbeitsplatz (§5 ArbSchG) empfohlen.

Ein Werkzeug, das zu diesem Zweck zum Einsatz kommen kann, ist der FoBiK-Fragebogen, den die Unfallkasse NRW und die Polizei Aachen vor einigen Jahren entwickelt hatten. „FoBiK“ steht für „Formen der Bedrohung im Kundenverkehr“.

Wie gut ist Ihre Organisation auf Gewalt im Kundenverkehr vorbereitet?

Die Unfallkasse NRW und die Polizei Aachen hatten unter der Überschrift „Audit Gewaltprävention“ auch eine mehrseitige Checkliste zur Risikominimierung von Übergriffen im Kundenverkehr erstellt.

Wenn Sie diese für eine erste Selbstbewertung der Sicherheitsstandards Ihrer Arbeitsplätze nutzen möchten, so können sie diese kostenlose Checkliste auch gerne von uns erhalten.

Für weiterführende Informationen zum Thema Gewaltprävention stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns.