Tür-Engineering – Planung mit Brisanz

Türen sollen gestalten, trennen und zugleich verbinden, sollen regeln und zugleich schützen 

Türen werden jeden Tag von Personen im wahrsten Sinne des Wortes „erlebt“. Unzulänglichkeiten, mangelnder Komfort, Fehlfunktionen werden sensibel registriert und führen zu Sicherheitslücken und einem entsprechend hohen Konfliktpotenzial.

Bauliche, gestalterische und organisatorische Anforderungen, Brandschutz, Sicherheit, Barrierefreiheit und Fluchtwegtauglichkeit machen die Tür zu einem Gewerke übergreifenden Bauteil. Die daraus entstehende Komplexität der Türplanung wird immer wieder verkannt, ja oft bewusst verdrängt.

Im Leistungsbild der Architekten und Planer ist Tür-Engineering in der Regel nicht enthalten. Die Koordinationspflicht und Mitwirkungspflicht der, an der Planung- und Ausführung, Beteiligten löst nur selten das Problem. Die entstehenden Planungslücken können sich besonders für den Nachunternehmer der Sicherheitstechnik fatal auswirken.

Ein multifunktionales Bauteil auf hohem Niveau

In anspruchsvollen Bauprojekten machen Brand- und Rauchschutz, Einbruch- / Durchbruch- und Beschusshemmung, Barrierefreiheit, Einbruchüberwachung, Zutrittskontrolle, Verriegelung in Flucht- und Rettungswegen, Schloss- / Beschlags- technik und Zylindertechnik das Bauteil Tür zu einer hoch komplexen Planungsaufgabe.

Nachträgliche Änderungen an Türen sind in der Regel nur begrenzt möglich und bis auf wenige Ausnahmen nicht zugelassen. Sofern eine Tür ausgetauscht werden muss, bedeutet das stets hohe Kosten, lange Lieferzeiten und Suche nach den Verantwortlichen.

Viele Beteiligte – viele Fragen – wenig Antworten

Durch die Vielzahl der Planungs- und Ausführungsbeteiligten ist ein erhebliches Konflikt- und Fehlerpotenzial vorprogrammiert ist. Erschwerend kommt hinzu, dass bei den meisten Projekten nur bis zum Entwurf geplant wird.

Ein schwerwiegender Fehler, denn Tür-Engineering muss bereits in einer frühen Planungsphase beginnen, Gewerke übergreifend erfolgen und bis zur Ausführung detailliert durchgeplant werden. Schon aus den nachfolgenden Fragen wird die Komplexität der Planung und der Ausführungskoordination ersichtlich.

  • Welche Baukonstruktion ist vom Architekten vorgegeben?
  • Welche Auswirkungen haben die Konstruktionsmerkmale auf die Zusatzkomponenten einer Tür?
  • Entspricht die Tür den baulichen Sicherheitsanforderungen?
  • Welche Funktionen soll die Tür erfüllen?
  • Welche Türtypen und Planungsunterlagen sind erforderlich?
  • Wer plant was und welche Leistungs- und Planungsschnittstellen müssen festgelegt werden?
  • Welche Normen und Richtlinien sind zu berücksichtigen?
  • Welche Systeme sind zu berücksichtigen?
  • Wer liefert welche Systeme und Komponenten?
  • Welches System hat den „Hut auf“ und steuert die Stellglieder der Tür?
  • Wie ist der elektrische und datentechnische Signalfluss?
  • Wie ist zu verkabeln und wer verkabelt?
  • Wo liegen die Schnittstellen zwischen dem Türelement und den Geräte der beteiligten Gewerke?
  • Wer haftet für die Gesamtfunktion?
  • Wer prüft die Gesamtfunktion?
  • Was muss bei den Ausschreibungen der Gewerke berücksichtigt werden?
  • Wie verhält es sich mit Gewährleistung und Instandhaltung?

Türfunktionen bestimmen

Architektenpläne, Sicherheits- und Brandschutzkonzepte sowie sonstigen Anforderungen bestimmen die Rahmenbedingungen einer Tür. Erst dann kann eine ganzheitliche Betrachtung der Türausrüstung und der systemübergreifenden Gesamtfunktion erarbeitet werden. Typische Funktionen und Anforderungen sind z.B.:

  • Allgemeiner Verkehrsweg
  • Flucht- und Rettungsweg
  • Öffnungsüberwachung Geflügel / Standflügel
  • Verschlussüberwachung Geflügel / Standflügel
  • Türoffenzeitüberwachung Gehflügel / Standflügel
  • Kraftbetätigtes Öffnen und Schließen
  • Türoffenhaltung mittels Feststellanlage
  • Türfreigabe über Ausweisleser von gesicherter / ungesicherter Seite
  • Türfreigabe über Flächentaster auf gesicherter Seite / ungesicherter Seite
  • Automatische Entriegelung durch z. B. Brandmeldeanlage
  • Verriegelung mittels Fluchtwegsicherungssystem
  • Manuelle Kurz-/Langzeitentriegelung vor Ort
  • Manuelle Kurz-/Langzeitentriegelung durch Leitstand
  • Zuhaltung mittels Schloss mit elektrischer Riegelfunktion oder Drückerfunktion
  • Zuhaltung mittels Sicherheitstüröffner oder sonstige Stellglieder
  • Schleusenfunktion und Zwangsläufigkeit
  • Sperrfunktion Einbruchmeldeanlage

Türtypen erarbeiten

Die Kombination von Konstruktion, Funktionen und Ein- und Aufbaukomponenten ergeben unterschiedliche Türtypen. Einmal identifiziert, erleichtern sie die weitergehende Planung erheblich. Die Fülle der einwirkenden Faktoren und Kombination lässt erahnen, welche Vielfalt an Türtypen in einem anspruchsvollen Bauprojekt entsteht. Im Justizzentrum Wiesbaden waren es z. B. 56 Türtypen und jeden Türtyp sollte eine Detailplanung mit nachfolgenden Inhalten erfolgen:

  • Prinzipdarstellung der Tür von Band- und Bandgegenseite
  • Lagerichtige Darstellung der Ein- und Aufbaukomponenten
  • Darstellung der Beschlagstechnik
  • Darstellung der Geräte im Türumfeld
  • Verkabelungsschema
  • Elektrischer und datentechnischer Signalfluss
  • Funktionen

Gerade der letzte Punkt ist wichtig, da später anhand dieser Angaben eine eindeutige Funktionsprüfung durchgeführt werden kann.

Türliste generieren und anpassen

Erst wenn Schritt 1 und 2 durchgeführt sind, können die erforderlichen Angaben in die übliche Türliste übertragen werden. Der Architekt generiert in der Regel eine Excel-Tabelle mit allen projektspezifischen Konstruktions- und Baudaten. Bedingt durch die große Datenmenge ist die Türliste in der Regel leider unübersichtlich, bearbeitungsintensiv und durch ständige Änderungen und Fortschreibungen mit einem hohen Fehlerrisiko verbunden. Erste datenbankbasierte Softwarelösungen, sogenannte Türlistenmanager mit hohem Bearbeitungskomfort, Gewerke übergreifende Bearbeitung und Berücksichtigung aller funktionalen, baulichen, technischen und sicherheitstechnischen Sonderanforderungen, finden bereits Anwendung und können dazu beitragen Türengineering erheblich zu erleichtern.

Zusatzanforderungen und Funktionen der Türen müssen durch die Planungsbeteiligten in die Türliste eingefügt werden. Je nach Planungsfortschritt kann es sowohl die Architekten und Planer betreffen, aber auch bereits beauftragte Nachunternehmer für Elektrotechnik, Sicherheitstechnik, Innentüren und Fassade.

Vorsicht ist geboten

Sofern die vorstehend beschriebenen Arbeitsschritte noch nicht erfolgt sind – in der Regel ist das der Fall – sorgt dieser Bearbeitungsschritt für erste Diskussionen im Planungsteam. Gerne zeigt man in diesem Moment auf den Nachunternehmer der Sicherheitstechnik. Durchaus nachvollziehbar aber Vorsicht ist geboten. Wenn er sich diesen Hut aufsetzt oder besser gesagt aufsetzen lässt, muss ihm bewusst sein, dass es nicht damit getan ist, ein paar sicherheitstechnische Komponenten in die Türliste einzutragen, sondern auch alle anderen Auswirkungen auf die beteiligten Gewerke und Planungsinhalte wie vorstehend beschrieben abzustimmen und zu dokumentieren.

Verkabelung und Datenfluss – Welches System hat den Hut auf?

Gerade beim Verkabelungsschema wird klar, wie komplex die Verknüpfung der Systeme und der damit verbundene Signal- und Datenfluss sein können. Das dargestellte Beispiel zeigt eine zweiflüglige Tür mit Zutrittskontrolle, Fluchtwegsicherung,
Einbruchüberwachung, Motorantrieb und Feststellanlage.

Fazit:
Tür-Engineering ist eine komplexe und Gewerke übergreifende Planungsaufgabe. Die beteiligten Architekten und Fachplaner sind in der Regel nicht beauftragt oder überfordert. Der Nachunternehmer Sicherheitstechnik sollte sorgfältig prüfen, ob er im Rahmen seines Auftrages ein derart umfangreiches Tür-Engineering schuldet.

 

Dieser Fachbeitrag ist in der Fachzeitschrift Protector, Ausgabe November 2011 erschienen. Autor: Volker Kraiss